Man könnte die Landschaft als intensiv und gehaltvoll bezeichnen und das ohne Weiteres auf Niederkoflers Küche umlegen. Die Natur ist bereits angerichtet: Heiligkreuzkofel, Lavarela und Conturinesspitze; Felsen türmen sich, und weiter oben Richtung Lagazuoi und Falzarego zeugt ein großes Bachbett von den Kräften, die die Natur hier freisetzen kann. Norbert Niederkofler sitzt leger und stilvoll gekleidet auf der Terrasse. 49 Jahre ist er alt, wirkt weltmännisch und doch heimatverbunden, trägt Jeans, einen dünnen Pulli, darunter ein Hemd, das sympathischerweise nicht in der Hose steckt; Starallüren sind ihm fremd. Seit 15 Jahren ist er wieder zurück in Südtirol, er, der Abtrünnige, der mit 19 Jahren das Ahrntal verlassen hat und sich sicher war, nie mehr zurückzukommen. Niederkofler hat bei Witzigmann in München gelernt und hat dann in Deutschland, Österreich, Amerika und in der Schweiz gekocht, ehe er doch wieder zurück in die Dolomiten kam. „Eigentlich wollte ich nur ein paar Jahre bleiben“, gesteht er. „Ich habe Südtirol im Laufe der Zeit schätzen gelernt.“ Aus einer einfachen Pizzeria im Hotel Rosa Alpina in St. Kassian hat Niederkofler schnell ein kleines exklusives Restaurant gemacht. Vor drei Jahren bekam er den zweiten Michelin-Stern. Das St. Hubertus ist ihm ans Herz gewachsen. Und was kommt nun? „Na, was soll kommen?“, fragt er, „Ich arbeite auf den dritten hin.“
Das Geheimnis seiner Küche sei, dass sie klar, zurückgefahren und auf die Qualität bedacht ist. „An erster Stelle kommt für mich immer das Produkt. Erst an zweiter Stelle kommt der Koch.“ Fisch oder Fleisch, eine Beilage und eine passende Soße, das war’s auch schon. „Reduktion aufs Wesentliche“, nennt er das. Und das hat sich seit drei Jahren sogar nochmals verstärkt. „Ich glaube, die Linie im Restaurant ist noch klarer geworden“, sagt Niederkofler und erzählt, dass er 2007 die Berge vor seiner Haustüre nicht nur als Inspiration für die Küche, sondern auch als Sportgelände für seinen Körper entdeckt hat: Rennradfahren, Mountainbiken und Wandern im Sommer, Skifahren und Langlaufen im Winter. 15 Kilo hat er abgenommen, fühlt sich gesund und lebendig und hat nun auch seinen Körper aufs Wesentliche reduziert. Ein dunkles Wolkengebilde schiebt sich vor die Sonne, das Licht auf der Terrasse verändert sich, und Niederkofler sagt spürbar beeindruckt von seiner Heimat: „Hier hat man alle Stimmungen – von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, das ist einzigartig an diesen Bergen.“ Dann weht der Wind die Servietten vom Tisch. Etwa die Hälfte der Produkte, die es in die Rosa-Alpina-Küche zu den 22 Mitarbeitern schaffen, kommen aus der Region. Von einer Käserei im Ort, einem Kräuterbauern in Brixen oder einem Metzger in Zwischenwasser. „Wenn ich hier den Menschen ins Gesicht schaue, dann weiß ich genau, was sie verkaufen“, sagt Niederkofler. Und natürlich kommt in St. Kassian immer auch der tagtägliche Einfluss der Dolomiten dazu: das Quellwasser, die Höhenluft, die Atmosphäre. Wer weiß, vielleicht macht genau diese Mischung eines Tages den dritten Stern aus.
Die Südtiroler Küche ist etwas Besonderes
Das St. Hubertus ist eines der drei Restaurants im Hotel Rosa Alpina in St. Kassian im Gadertal. Seit 2007 hat es zwei Michelin-Sterne; somit verfügt St. Kassian, gemessen an seinen 700 Einwohnern, mit drei Sternen (das Restaurant „Siriola“ im Hotel Ciasa Salares hat einen Stern) über die höchste Sternedichte in ganz Europa.
Mit 16 Guide-Michelin-Sternerestaurants in 2010 verfügt Südtirol unter allen Provinzen Italiens über die meisten Sterneküchen. Neben dem St. Hubertus von Norbert Niederkofler ist die Trenkerstube von Küchenchef Gerhard Wieser im Hotel Castel in Dorf Tirol ein weiteres Zwei- Sterne-Restaurant in Südtirol. Der „Gault Millau Südtirol 2010″ verlieh insgesamt 90 Hauben.
In Südtirol werden für eine authentische Küche vorwiegend regionale Produkte verwendet. Die europäischen Qualitätssiegel g.g.A. (geschützte geografische Angabe) und DOC (Denominazione di Origine Controllata) garantieren die Lebensmittelsicherheit und den Verbraucherschutz durch strenge Kontrollen aller Produktionsphasen. So werden regionale landwirtschaftliche Produkte und Spezialitäten wie Südtiroler Apfel g.g.A., Südtiroler Speck g.g.A. und Südtiroler DOC Wein geschützt und gefördert.