Michael Wachtler „Übersetzer der Sprache der Steine“. Was darunter zu verstehen ist, demonstriert er an einem alten Gebäude in Innichen, seinem Wohn- und Arbeitsplatz, vor einer etwa zwei Quadratmeter großen Steinplatte. Wachtler hat sie erst vor ein paar Monaten am Piz da Peres gefunden, und nun wird ihre Geschichte dechiffriert: „Das Tagebuch der Welt kommt nirgendwo so gut zum Vorschein wie in den Dolomiten.“ Auf der Steinplatte ist etwas, das aussieht wie Vogelspuren und verwischte Schlieren. „Fossilien sind eine Momentaufnahme“, sagt Wachtler dann und beginnt die Geschichte dieses Moments zu erzählen: „Es war ein Morgen im April vor 241 Millionen Jahren. Am Strand hat es geregnet bis etwa zehn Uhr, dann hat die Sonne auf den Sand geschienen, und hier ist ein eidechsenähnliches Wesen, eine Urform des Dinosauriers, spazieren gegangen und ein krokodilähnliches Raubtier ist ihm hinterher gesprungen. Danach hat eine Welle eine neue Sandschicht über die Abdrücke gespült und alles für die Nachwelt konserviert.“ Die Platte wird bald in Wachtlers Museum „Dolomythos“ zu sehen sein.
Wer ist dieser Michael Wachtler? Ein Philosoph? Ein Fantast? „Ich fühle mich nicht als Wissenschaftler“, sagt er. „Es reicht ja schon, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht und mit einem geschulten Verstand beobachtet.“ Wachtler hat eine wechselhafte Biografie. Er studierte Wirtschaft, war in Innichen bis zu seinem 30. Lebensjahr erfolgreich in der Immobilienbranche tätig und entschied sich dann auszubrechen, von seinem Vermögen zu leben und sich der Welt der Steine zu widmen. Er war als Kristallsucher in der ganzen Welt unterwegs, machte später den größten Goldfund der Alpen und spezialisierte sich dann auf Fossilen. Als er 1999 einen versteinerten Urahn der Schlange entdeckt hat, nannte ein Professor den Fund Wachtler zu Ehren „Magechirella wachtleri“. Über 30 Bücher hat er mittlerweile geschrieben, Filme gedreht und in Innichen ein Museum aufgebaut. Und es stört ihn nicht, dass er mit seinen Thesen gelegentlich aneckt und auf Widerspruch stößt.
Wir fahren von Innichen hinauf zum Furkelpass, jenem Ort, an dem Michael Wachtler bereits so viele Geschichten freigelegt hat. Er ist ins Erzählen gekommen, er gestikuliert, macht kurze Denkpausen, verfolgt einen Gedanken, lässt ihn wieder fallen, kümmert sich um den nächsten. Oben am Furkelpass, auf knapp 1.800 Metern Höhe, deutet Wachtler hinauf zum Piz da Peres und erzählt von seinem letzten großen Fund: ein versteinertes Skelett eines Urzeitwesens. „Zehn Jahre lang bin ich den Graben rauf, den Graben runter, rauf und runter – und habe nichts gefunden. Und dann plötzlich so etwas!“ 70 bis 80 Tage im Jahr ist Wachtler in den Dolomiten unterwegs, sucht, streunt herum, schläft in den Felsen, setzt sich Gefahren aus. „Dort“, sagt er und deutet wieder in die zerklüftete Felswand, „wandere ich trockenen Fußes einen Meeresgrund entlang. Das ist ein Urzeitparadies mit tropischen Stränden und Wäldern, Muscheln und Skeletten, Farnen und Wurzeln, Tümpeln und vielen anderen kleinen Dingen, denen ich eine Bedeutung geben muss – eine komplett lebendige Welt, deren Geschichte ich übersetzen muss.“ Die Dolomiten haben noch viele Geschichten zu erzählen. „Es fehlen noch ganze Bücher“, sagt der „Zeitenwanderer“ Wachtler, dreht sich um und marschiert Richtung Piz da Peres, dem Berg aus Stein.
Kulturplatz Südtirol
Das Naturmuseum Bozen ist das einzige Landesmuseum für Naturkunde und die zentrale Dokumentations- und Sammelstelle für naturkundliche Objekte in Südtirol. Die Dauerausstellung veranschaulicht die Entstehung und das Erscheinungsbild der Südtiroler Landschaften inklusive der Dolomiten. Besucher werden durch Inszenierungen, Spiele oder Experimente zu einem aktiven Museumsbesuch angeregt.
Der Kulturführer Culturonda Dolomythos umfasst geografisch und thematisch das gesamte Südtiroler Dolomitengebiet und bündelt zwölf große Themen: von der Geologie über die Handelswege bis hin zur ladinischen Sprache. Südtirol-Besucher können sich mit dem Führer selbst auf Spurensuche im UNESCO-Weltnaturerbe begeben. Zu jedem der zwölf Themen finden sich in Culturonda Dolomythos drei besondere Erlebnispunkte. Die Routen sind individuell plan- und kombinierbar.
Die acht Kilometer lange und bis zu 400 Meter tiefe Bletterbachschlucht liegt im Südtiroler Unterland zwischen den Dörfern Aldein und Radein. Hier finden sich Gesteinsschichten aus der Epoche des Unterperm vor etwa 280 Millionen Jahren bis in die Mittlere Trias vor etwa 235 Millionen Jahren. Einzelne Funde wie versteinerte Muscheln, Pflanzenfossilien und über 20 verschiedene Arten von Saurierspuren sind im Besucherzentrum des Geoparc Bletterbach und im Geomuseum in Radein ausgestellt.