Faneshütte im Frühling: Lärchen und Zirben zieren das von Felsschuppen durchsetzte Wiesengelände, Schneereste kauern in den Senken.
Die Faneshütte, der höchste ganzjährig bewohnte Wohnsitz in Südtirol. Und doch kann man in der Gaststube bisweilen vergessen, an was für einem eindrucksvollen Ort man sich dort oben befindet. Das liegt an den Hüttenwirten Petra und Max Mutschlechner. Und ihren Geschichten. Er, mehr Gefühls- als Vernunftsmensch, grauschwarzer Schnauzer, blaue Augen, Motorradfahrer-Jacke, 58 Jahre alt, Lausbubenblick. Sie, mehr Vernunfts- als Gefühlsmensch, blonde Haare, grüne Augen, blauer Fleece, 46 Jahre alt, Lausbubenmaßregel-Blick. Jedenfalls: Wenn „der Max“ den großen Kochtopf voller Käsenocken auf den massiven Holztisch wuchtet und Petra die Flasche Rotwein öffnet, dann sollte man es nicht allzu eilig haben.
Max beginnt zu erzählen, wie er hier aufgewachsen ist, wie sie früher die Gäste des Hotel Post aus St. Vigil empfangen haben und sein Vater später die Faneshütte vom Hotel übernommen hat. Dann erzählt Petra, wie sie vor 24 Jahren das Tal unter sich gelassen hat und hinaufgezogen ist, zum Max, den sie schon als Kind kennengelernt hat, weil er der Bruder ihrer besten Freundin war. Dann erzählt wieder Max von den beiden Töchtern, die auf der Hütte aufgewachsen sind, mittlerweile aber nicht mehr dort oben leben. „Als sie zur Schule gingen, haben wir sie jeden Tag hinunter nach St. Vigil gefahren. Im Sommer mit dem Jeep im Winter mit der Schneekatze. Nur wenn zu viel Schnee gefallen war, sind sie oben geblieben – und durften schwänzen.“ Ein Grinsen. Noch Wein?
Ruhe der Natur
Es ist vermutlich die Weite und Größe der Natur, die den Menschen auf der Faneshütte auf sich selbst zurückwirft und ihm bewusst macht, dass vieles im Leben nicht selbstverständlich ist. Wärme, Licht und Wasser zum Beispiel. Das Heizöl muss angeliefert werden, Strom kommt erst seit einigen Jahren aus St. Vigil (was zwar, wie Petra sagt, „nicht mehr so romantisch, aber viel sicherer ist“) und das Wasser aus einer Quelle unter der Neunerplatte. „Das Leben hier oben ist schon bewusster“, sagt Petra, und der Wind pfeift ihr in den Kragen. Doch der Platz entschädigt für alles. „Diese Energie hier oben, das ist etwas ganz Eigenartiges, etwas, das man spürt, wenn man einmal da war.“ Manchmal, wenn es in der Hütte zu stressig wird, geht sie einfach nach draußen und meditiert eine Weile auf einem Felsen. Es gibt auch keinen Handyempfang und keinen Computerzugang auf der Faneshütte. „Wir möchten das Hüttenflair ja nicht ruinieren“, sagt Petra auf der Terrasse. Wolken drücken zwischen Zehnerspitze und Lavarela auf die Alm herunter. Es regnet leicht und ist still. Sie weiß genau, dass die Gäste auch wegen dieser Zivilisationsferne kommen und dass „kein Handyempfang“ heutzutage schon wieder ein Luxusgut geworden ist. „Diese Ruhe der Natur“, sagt Petra, „die spürt man einfach – und das merkt man sehr schnell. Stress und Lärm haben die meisten Gäste in der Stadt ja genug. Und auch wenn die Hütte überfüllt ist, muss man nur eine halbe Stunde wandern, und schon trifft man keinen Menschen mehr.“
Die „Bleichen Berge“ rund um die Faneshütte
Die Dolomiten sind eine Gebirgsgruppe der südlichen Kalkalpen. Charakteristisch sind ihre oft bizarren Formationen mit Zinnen und Türmen aus Kalk- oder Dolomitgestein. Mit 3.342 Metern Höhe ist die Marmolata der höchste Berg der Dolomiten. Weitere bekannte Massive sind die Drei Zinnen in den Sextner Dolomiten, der Sellastock, der Rosengarten, der Schlern, die Geislergruppe und die Langkofelgruppe.
Ursprünglich nannte man die Dolomiten die „Bleichen Berge“. Als der französischen Geologe und Mineraloge Déodat de Dolomieu 1789 auf einer Reise das helle Gestein entdeckte, wurde dieses bisher unbekannte Mineral nach ihm benannt. Erst um 1864 gelangte der Name Dolomiten in den allgemeinen Sprachgebrauch.
Die Dolomiten sind reich an Sagen und Mythen, wie die Sage vom Reich der Fanes: Durch ein Bündnis mit den Murmeltieren verlebte das Reich eine glückliche und friedliche Periode. Als ein fremder König eine Fanes-Prinzessin heiratet und das Bündnis aus Gier kündigt, wird das Reich von Eindringlingen überfallen, die auch die Königstochter Dolasilla mit ihren Zauberpfeilen nicht aufhalten kann. Daraufhin flüchtet die Fanes-Königin mit ihrem Volk in die unterirdischen Gänge der Murmeltiere. Der König wird zur Strafe für seinen Verrat zu Stein und thront seitdem als falscher König (falza rego) am Falzaregopass. In der Nacht der Sommersonnenwende, jeden 21. Juni, soll die Fanes-Königin mit ihrer Tochter durch ein Tor im Fels des Seekofels auf den Pragser Wildsee rudern und auf das Erklingen der goldenen Trompeten im See hoffen, das ein neues Aufleben des positiven Bündnisses mit den Murmeltieren verheißen würde.